„Tödlicher als die Pest“ – so beschreibt der Präsident der Europäischen Kardiologie-Vereinigung die Zukunft in Bezug auf die stark zunehmenden kardiovaskulären Krankheiten, weltweit. 300.000 Menschen erleiden, allein in Deutschland, jährlich einen Herzinfarkt. Das sind 842 täglich bzw. alle zwei Minuten einer. Und die Hälfte der Patienten stirbt. Jeder zweite Deutsche der über 50-jährigen leidet unter Bluthochdruck. Das sind über 20 Millionen Menschen.
Die
Deutsche Herzstiftung moniert, dass es den meisten Herzpatienten an der
richtigen Lebensweise mangelt. Und Professor Noll, führender
Herzspezialist und Mitglied im Stiftungsbeirat, kennt die
Infarktverursacher genau. Im Vordergrund steht Stress, gefolgt von
Bewegungsmangel und ungesunder Ernährung.
Doch auch das soziale
Umfeld reagiert oft hilflos und mit unbewussten Vorwürfen. Finanzielle
Sorgen und die Angst, dem tagtäglichen Druck nicht gewachsen zu sein,
runden das Bild ab. Viele Patienten sind überfordert und stecken den
Kopf in den Sand. Schließlich spürt man die tödliche Gefahr ja nicht.
Spürt man nichts, hat man nichts!?
Die weltweit durchgeführte „Interheart-Studie“ bestätigt, dass Herzinfarkte zu 90 Prozent vorhersehbar sind. Insgesamt muss man sechs Risiko-Faktoren und drei schützende Faktoren im Blick haben: Bluthochdruck, Übergewicht, Stress, erhöhte Blutfette, Rauchen, Diabetes sowie Vitalstoffe, Bewegung und seelische Ausgeglichenheit.
Dazu der aktuelle Fall
Letzte
Woche werde ich zu einer Schmerzpatientin von deren Tochter gerufen.
Der Hausbesuch ist 16 Kilometer entfernt. Der Hausarzt befindet sich im
Urlaub und die Vertretung ist nicht zu erreichen. Die Patientin ist
70-ig, schlank, geistig agil und wird von ihrer Umwelt als ziemlich
herrschsüchtig und eigensinnig beschrieben. Hinzu kommt, dass sie wohl
schnell und häufig eingeschnappt ist, wenn die Welt nicht immer ad hoc
nach ihrem Bild abläuft.
Der Schmerz ist im Rücken blitzartig
aufgetreten, während der Gartenarbeit. Die Patientin hat wiederholt
Durchfall. Bei der Untersuchung stelle ich sofort fest, dass ihre Haut
kaltschweißig ist. Die Schmerzen werden punktförmig am Rücken, im
Bereich leicht links der Brustwirbelsäule angegeben. Es ist ein
stechender, fast unerträglicher Schmerz. Doch beim gezielten Abtasten
der Muskel- und Wirbelpartien kann ich diesbezüglich überhaupt nichts
feststellen. Der Patientin wird übel. Ich lasse sie auf den Rücken
liegen. Doch so hält sie die Schmerzen gar nicht aus. Sie sitzt sofort
wieder aufrecht. So geht es viel besser. Ich messe den Blutdruck. 178 zu
102, Puls 47!!! Das Ganze spielt sich innerhalb kürzester Zeit ab. Die
Übelkeit wird stärker und die Patientin erbricht. Sofort gehen alle
Ampeln auf Rot. Verdacht auf Herzinfarkt! Ich rufe die
Rettungsleitstelle. Die alarmiert die Rettung und den Notarzt. Es
vergehen nur wenige Minuten bis zu deren Eintreffen. Das EKG ist aber
in Ordnung. Nichts Gravierendes. Die Frau leidet an Bluthochdruck. Und
sie nimmt täglich akribisch genau ihre Medikamente ein. Die Tochter
versichert, sie wäre sehr gut eingestellt und würde auch mehrmals
täglich den Blutdruck messen. Auf dem Tisch liegt ein
Blutdruckmessgerät zur Messung am Handgelenk. Das Band am Gerät hält
dem Luftdruck beim Aufpumpen nicht mehr Stand und springt fast
selbständig auf. Es scheint ziemlich veraltet.
Dass die
Patientin ihre Medikamente einnimmt glaube ich zwar, aber richtig
eingestellt sind doch die allerwenigsten Patienten. Das sehe ich selbst
tagtäglich in der Praxis. Viel zu lasch und fatalerweise oft an einer
viel zu langer Leine wird der Blutdruck therapiert. Kurzum, der Notarzt
ist geneigt die Frau im Haus ihrer Tochter nächtigen zu lassen, falls
es doch weitere Probleme gibt. Erwägt aber auch, sie vielleicht doch
ins Krankenhaus einzuweisen und zusätzlich orthopädisch abklären zu
lassen, nachdem die Tochter der Patientin äußert, dass sie in zwei
Tagen zusammen in den Urlaub fahren wollen. Zur Einweisung bestärke
ich den Notarzt. Denn Frauen haben eine völlig andere
Herzinfarkt-Symptomatik als Männer. Auch ein Rettungssanitäter haut in
meine Kerbe. Die Patientin informiert in kurzem bestimmendem
Kommandoton: „Wir fahren übermorgen in den Urlaub, nach Cornwall“.
Also, ab ins Krankenhaus.
Dort wird schnell erkannt, dass es sich um ein vaskuläres Problem handelt. Die Patientin wird noch in der Nacht mit dem Hubschrauber ins Deutsche Herzzentrum nach München verlegt. Cornwall liegt jetzt in München – out of Rosenheim.

Aortenaneurysma im Bauchraum
Was ist passiert? Die innerste Schicht der Körperschlagader (Aorta) ist eingerissen. Und zwar im Bereich des Aortenbogens, nach der dritten Gabelung (Arteria subclavia sinistra), fast schon wieder im absteigenden Teil. Das ist die Gefahr bei einem Aorten-Aneurysma (Aussackung der Hauptschlagader). Die Aorta kann ganz reißen, was dann den Sekundentod zur Folge hat. Der Patient verblutet blitzartig, im wahrsten Sinne des Wortes.
Auf der Intensivstation des Deutschen Herzzentrums wird versucht den Blutdruck der Patientin schnellstens herunterzudrücken. Die ersten Mittel greifen nicht. Die Mittel werden gewechselt. Jetzt wird auf 100 zu 70 heruntergefahren. So wird die Aortenwand total entlastet, um nicht völlig zu reißen. Zur Diskussion steht eine große Notoperation, ein Stent, oder einfach abwarten. Operation und Stent sind ebenfalls mit nicht geringen Risiken verbunden. Also wartet man fünf Tage unter strenger Beobachtung ab. Durch die enorme Blutdrucksenkung konnte sich das Gefäß wohl erholen und hoffentlich einigermaßen selbst reparieren. Diesmal wird die Patientin ohne Operation und ohne Stent zurück in die Stadtklinik verlegt. Zur weiteren Kontrolle.
Die Tochter meint, während eines Telefonats, dass der Blutdruck mit 100 zu 70 viel zu niedrig sei und somit ihrer Mutter schwindlig wäre. Nun, das mag sein, dass der Frau schwindlig ist. Schließlich muss sich der Körper über längere Zeit erst an diese neuen Blutdruckverhältnisse gewöhnen. Doch in solchen Fällen bleibt eben nichts anders übrig, als unter die Normalwerte 120 zu 80 zu senken. Da gibt es kein Vertun. Die Gefahr liegt dann halt ggf. wieder bei einem eventuellen Sturz mit Knochenbrüchen und deren Folgen. Und zu einem hohen Prozentsatz enden Desaster dieser Art leider ebenfalls häufig mit dem vorzeitigen Tod. Schuld daran sind dann halt Thrombosen und Embolien.
Tatsache ist, dass bei Frauen die Gefahr der Herz-/Kreislauferkrankungen, nach den Wechseljahren, drastisch zunimmt. Fakt ist auch, dass Frauen mit einem Herzinfarkt durchschnittlich zweieinhalb Stunden später zu einem Notarzt (nicht Hausarzt) kommen als Männer. „Meist wird zu spät eingewiesen, da viele Kollegen ein orthopädisches Problem im Vordergrund sehen“, so das Deutsche Herzzentrum. Und unverständlich ist es, dass Frauen immer noch Medikamente bekommen, die für Männer gemacht sind und Frauen nicht selten mehr schaden als nutzen. Und das nicht nur, weil diese wohl schlichtweg überdosiert sind.
Dieser Einsatz zeigt mal wieder, dass in solchen nicht abwarten, sondern schnelles Handeln gefragt ist. Für diese Patientin bleiben die Gefahren aber weiterhin präsent.