Notfall – Tiefe Beinvenenthrombose

Eines Tages, genauer gesagt im Mai dieses Jahr, erhielt ich einen Anruf von einer lieben männlichen Person, die ich schon länger persönlich kenne. Mittlerweile ist er auch schon 79. Aber eigentlich noch ganz gut im Schuss, wie man so schön zu sagen pflegt. Er wollte einen Termin vereinbaren. Auf meine Nachfrage, was ihn denn zu mir treibe, antwortete mein Bekannter, dass es ihm allgemein gar nicht gut ginge. Zudem hätte er immer solche Schmerzen beim Gehen. Trotzdem ich genauer nachfragte, war ich anschließend aber nicht schlauer. Seine Frau ist vor drei Jahren verstorben. Sie erlitt an Weihnachten einen Schlaganfall. Bei der Untersuchung im Krankenhaus wurde ein Aneurysma festgestellt. Nachdem sie sich etwas erholt hatte, wurde ihr eine Operation dringend nahe gelegt. Doch bei der Operation gab es Komplikationen, an denen sie dann leider letztendlich verstarb.

Kurzum, mein Patient wohnt zwischen Ulm und Stuttgart. Die Anfahrt dauert ca. zweieinhalb Stunden. Damit er zu Hause nicht schon vor sechs Uhr morgens wegfahren muss, habe ich einen Labortermin zur Blutabnahme, direkt bei Synlab in München, vereinbart. München liegt nämlich auf der Strecke. Diesen Termin hat er dann auch um 11.45 Uhr wahrgenommen. Um 13.30 Uhr erschien er pünktlich bei mir in der Praxis, wie vereinbart.

Nachdem wir uns einige Zeit unterhalten hatten begann ich mit der Untersuchung. „Was sagt denn dein Hausarzt zu deinen Problemen“, fragte ich? Warst Du mal dort? „Ja schon“, erwiderte mein Patient. „Und…“, fragte ich nach. „Der hat eigentlich nichts groß dazu gesagt“, bekam ich zur Antwort. „Es zieht immer so in den Beinen, besonders im Linken“, ergänzte er. Nun, Beine sind lang. Komischerweise fing ich mit der Untersuchung diesmal ganz anders an als sonst. Nämlich an den Füßen. Ich tastete mich langsam nach oben, über die Waden, zu den Knien. Der wird doch keine Thrombose haben, ging es mir durch den Kopf. In dem Moment klingelte das Telefon. Wie im Film,  wenn es am spannendsten ist. Normalerweise gehe ich während einer Behandlung nicht ran. Diesmal unerklärlicherweise aber schon. Und das war gut so. Denn das Labor war am Apparat. „Die gesamten Laborwerte sind relativ unauffällig, INR/PTT/Quick okay, jedoch die D-Dimere bei + 3,4 µg/ml stark erhöht. Der Wert sollte nicht über 0,8 sein.“ Also doch.  Wahrscheinlich eine tiefe Beinvenenthrombose, wie vermutet.  Ein toller und superschneller Service von Synlab.

Ich habe dem Patienten die Lage kurz erklärt und ihn zeitgleich telefonisch hier im Krankenhaus angekündigt. Die Röntgen-Aufnahmen haben es dann bestätigt: Tiefe Beinvenenthrombose links – Vena poplitea. Dabei handelt es sich um jenes Gefäß, das venöses Blut aus dem Unterschenkel über das Knie zum Körper hin transportiert. Der Thrombus befand sich unmittelbar unterhalb der Kniekehle. Der Patient wurde gleich stationär im Krankenhaus aufgenommen. Mit diesem Risiko durfte er nicht mehr allein Auto fahren. In den nächsten Tagen folgten weitere Untersuchungen. Auch der Bauchraum wurde mit einbezogen.

Als ich wieder in die Praxis kam, lagen alle Laborwerte bereits schriftlich vor. Ca. zweieinhalb Seiten voller Laborwerte. Und alle durchaus sehr gut. Außer der D-Dimere-Wert und der Vitamin-D3-Wert. Der Vitamin-D-Wert lag mit -16,5 µg/ml weit unter der Norm. Als ich den Patienten damit konfrontierte, begann er sich zu winden. Ich habe ihm die Sache in den vergangenen Jahren nämlich schon öfter erklärt. Er versprach aber, ab sofort, drei bis vier Wochen lang, täglich 20.000 IE einzunehmen, um schnellstens auf einen akzeptablen, protektiven Vitamin-D-Wert zu kommen.

Die Operation rückte näher. Dann erhielt ich plötzlich einen Anruf. Mein Patient ließ sich von einer seiner Töchter abholen. Er hätte etwas Wichtiges zu Hause zu erledigen, das keinen Aufschub dulde.  Er wurde auf eigene Verantwortung entlassen. Über so viel Unvernunft habe ich mich einfach maßlos geärgert.

Nach zwei drei Wochen kam ein erneuter Anruf. „Ich bin wieder hier im Krankenhaus und lasse mich jetzt operieren“, klang es aus dem Telefonhörer. Na gut, was soll man machen. Es ist in der Praxis wirklich oft genau so, wie man es in einer billigen TV Arzt-Soap vorgesetzt bekommt. Bloß, dort kann man den Fernseher wenigstens abschalten. Solche Fälle, gepaart mit einer gewaltigen Portion Unvernunft, habe ich schon öfter erlebt. Es konsultieren mich nicht selten Menschen, die baldigst operiert werden müssen bzw. wirkliche Notfälle sind und Eile geboten ist. Und immer dasselbe Muster. Alle haben es sehr wichtig und sind – nach eigenen Angaben – unersetzlich und somit unabkömmlich. Nur, das Wichtigste vergessen diese Menschen völlig. Nämlich ihre Gesundheit und Ihr Leben.

Ich habe meinem Patienten mit sofortigem Beginn Kremo058 Lutschpastillen verordnet und zukommen lassen. Bloß kein MRSA, bloß keine Lungenentzündung, dachte ich. Das kann man mit Kremo058 nämlich verhindern! Täglich dreimal zwei Pastillen lutschen, zwei bis zweieinhalb Wochen lang, dann ist man im ziemlich sicheren Bereich. Und das für ca. 20 Euro. Man muss es einfach nur tun! Dann erkundigte ich mich, ob die 20.000 IE Vitamin-D3 noch täglich eingenommen werden. „Zögernd bekam ich zur Antwort: „Ich dachte nur 5.000?! Ich vermute mal, was passiert ist: Irgend so ein A…….. (nein, nicht Abteilungsleiter) muss ihm wieder eingeredet haben, dass 20.000 IE viel zu viel sind. „Von 5.000 hat niemand gesprochen. „Und du weißt das. Sofort 20.000!!!“, lautete mein Befehl.

Seit der großen Luric-Studie weiß man sehr genau, dass Vitamin-D-Werte unter 37,4 µg/ml gefährlich sind. Bereits bei Werten um 25 µg/ml steigt das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko um das 4-fache! Dann können sich verstärkt Blutgerinnsel bilden. Und nicht nur am Herzen und im Hirn. Werte über 50 µg/ml bis 80 µg/ml sind in Ordnung. Apropos Hirn…

Die Operation dauerte vier Stunden. Ein ca. 2 cm langer Thrombus wurde entfernt. Das hätte ins Auge gehen können. Die Operation verlief ohne große Komplikationen. An dieser Stelle muss man die Chirurgie der Asklepios Stadtklinik Bad Tölz einfach mal ganz arg loben. Tolle, überaus fähige „Menschen“ dort.

Am vierten Tag nach der Operation rief mich der Patient morgens in der Praxis an. „Du, die waren gerade da, vier Mann hoch. Die wollten ein CT machen, aber ich habe abgelehnt.“ „Und warum ein CT“, fragte ich? „Ich hatte schon letzte Nacht starke Atemprobleme und diese Nacht wieder.“ „Und tagsüber“, fragte ich? „Da nicht.“ Lange Rede kurzer Sinn, das CT wurde, nachdem wir die Hörer aufgelegt hatten, gemacht! Wie gut, denn die Diagnose lautete: Lungenembolie beidseits! Na also. Geht doch! Hinterher lese ich im Befund, dass er auch Vorhofflimmern hatte. Ist ja nicht unnormal, bei diesem Befund! Mein Gott…

Seit zwei Wochen ist mein Patient wieder zu Hause. Es geht ihm wieder richtig gut. Ich habe seine Tochter gefragt, was denn das für ein Hausarzt sei, der so einen Befund übersieht. „Na ja“, sagte sie, „man darf meinem Vater vielleicht nicht immer alles nur so glauben. Vielleicht hat er dem Hausarzt gar nicht alles gesagt oder war vielleicht lange gar nicht mehr da.“ Auch so könnte es natürlich gewesen sein. Als ich diesbezüglich meinen Patienten ebenfalls nochmals gezielt darauf ansprach, erklärte der es mir so: „Ich habe meinem früheren Hausarzt immer sehr vertraut. Eines Tages bekam ich fürchterliche Schmerzen an der Lendenwirbelsäule. Jahre-lang hat mich falsch behandelt. Irgendwann sind wir umgezogen, an einen anderen Wohnort. Ich war gezwungen einen neuen Hausarzt zu suchen. Der stellte dann fest, dass ich gar nichts an der Lendenwirbelsäule habe, sondern ein Leistenbruch vorliegt. Und dann das mit meiner Frau… Ich habe den Glauben verloren.“ Vielen Patienten kann man es nicht verübeln, wenn Sie kein Vertrauen mehr haben.

Auf vielen Laborzetteln fehlen laufend wichtige Laborwerte. Die werden einfach nicht gemacht. Und wenn, dann oft sehr lückenhaft. Aus Kostengründen. Dem Patienten wird aber gesagt, dass seine Werte in Ordnung sind. Ich wundere mich nur, dass dann manche Patienten trotzdem mit dem Kopf unterm Arm bei mir in der Praxis auftauchen. Aber solange mir der Kleber nicht aus geht… Die Patienten verlassen sich auf eine solche Aussage. Manchmal mit fatalen Folgen. Und in diesen Fällen leider  n u r  für die Patienten! Ohne umfangreiche Laborwerte wäre die Sache für meinen Patienten evtl. ganz anders verlaufen. Zugegeben, umfassende Laborwerte sind nicht immer ganz billig. Aber man kann Leben damit retten!