Ein Auszug der Arbeit von Dr. Nicolai Worm und Dr. Karin Haug, beide Ernährungswissenschaftler und Fernsehjournalisten (letzte Sendung am 8.6.2006 im SWR). Ich bedanke mich bei beiden, dass sie mir ihre Arbeit schon vor Monaten vertrauensvoll zur Verfügung gestellt haben. Auch Telefonate zwischendurch sind stets eine Bereicherung.
Von allen Blutfettparameteren haben die Quotienten von LDL- zu HDL-Cholesterin bzw. Gesamt-Cholesterin zu HDL-Cholesterin die höchste Vorhersagekraft für das Risiko eine koronare Herzkrankheit (KHK) zu entwickeln. Nahrungsmittel werden in der Ernährungsberatung immer noch in erster Linie hinsichtlich ihrer Wirkung auf den Gesamt-Cholesterinspiegel bzw. auf die LDL-Cholesterinspiegel beurteilt. Es wird nach wie vor empfohlen, die Cholesterinzufuhr auf unter 300 mg pro Tag zu senken, mit der Erwartung, dass damit das LDL- oder Gesamt-Cholesterin und damit das gesundheitliche Risiko günstig beeinflusst werden kann. Um dies zu erreichen, muss die Zufuhr von tierischen Lebensmitteln entsprechend reduziert werden. Dabei ist, nach der gegenwärtig verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz, ein Gesundheitsgefährdung über die Zufuhr von Nahrungscholesterin nicht zu erwarten. Der unerhebliche Einfluss des Cholesteringehalts der Kost auf das theoretisch definierte Koronare Risiko wird auch von der Epidemiologie bestätigt. Tatsächlich haben von bislang 15 durchgeführten prospektiven Studien nur drei ein signifikant erhöhtes Herzinfarktrisiko mit steigender Cholesterinzufuhr erbracht (1-3). Allerdings waren bei diesen alten Arbeiten nur wenige Störvariablen multivariat berücksichtigt worden. Die restlichen Studien haben keinen Zusammenhang zwischen der Cholesterinzufuhr und KHK erkennen lassen (4-15). Im Jahre 1999 hat die Nurses’ Health Study und die Health Professionals Study eine gemeinsame Analyse über den Zusammenhang zwischen Eierkonsum und dem Herzinfarktrisiko veröffentlicht. Daten von 38 000 Männern und 80 000 Frauen gingen in diese Langzeit-Beobachtungsstudie ein. Bei der Berechnung des Risikos waren alle möglichen Einfluss- und Risikofaktoren berücksichtigt worden. Im Ergebnis fand sich (inklusive Zufuhr von Frühstückspeck), kein Zusammenhang zwischen der Höhe der Eierzufuhr und der KHK-Inzidenz. Bei Frauen fand man im Trend sogar ein abnehmendes Risiko, bei höchstem Konsum (16). Es wird ignoriert, dass Nahrungsmittel auch die Höhe des HDL-Cholesterins beeinflussen können. Querschnittsstudien haben ergeben, dass die durchschnittliche Höhe des Cholesterinspiegels in der Bevölkerung nur zu zwei Prozent von Nahrungsfaktoren bestimmt wird. Der Cholesterinspiegel wird also zu rund 98 Prozent durch andere, zum Großteil körpereigene Mechanismen bestimmt (17). Entsprechend dokumentieren methodisch aufwändig ausgewertete Bevölkerungsstudien, dass die Höhe des Cholesterinspiegels in der Bevölkerung nicht mit der Cholesterinzufuhr korreliert (17-19). Moderne Experimente am Menschen haben dieses „Phänomen“ aufgeklärt: 1. Im Schnitt wird nur die Hälfte des Nahrungscholesterins im Darm resorbiert. 2. Die im Stoffwechsel des Nahrungscholesterins entstehenden Oxysterole hemmen sofort die körpereigene Cholesterinsynthese. 3. Sobald die Cholesterinzufuhr mit der Nahrung die eigene Syntheserate überschreitet, werden Abbaumechanismen aktiviert, die eine vermehrte Ausscheidung von Cholesterin mit Hilfe der Gallensäuren zum Darm hin bewirken (20). Diese Mechanismen deuten darauf hin, dass Nahrungscholesterin unter „normalen“ genetischen Bedingungen effizient geregelt wird (20) und dass zwischen der Menge des im Darm resorbierten Cholesterins und der Höhe des Cholesterinspiegels im Serum kein nennenswerter Zusammenhang zu erwarten ist (21). Verschiedene Meta-Analysen kontrollierter Stoffwechselstudien bestätigen, dass pro 100 mg Zufuhrsteigerung von Nahrungscholesterin der Gesamt-Cholesterinspiegel um etwa 2,2 mg/dl ansteigt und dass umgekehrt bei einer Einsparung von 100 mg der Gesamt-Cholesterinspiegel in dieser Größenordnung sinkt (22-24). Nahrungscholesterin erhöht nicht nur das LDL- sondern auch das HDL-Cholesterin. So zeigen kontrollierte Stoffwechselstudien, dass eine Erhöhung oder eine Einschränkung der Cholesterinzufuhr, im Durchschnitt, keinen nennenswerten Einfluss auf die Quotienten haben (22, 24). Pro 100 mg Mehrzufuhr von Nahrungscholesterin pro Tag ist ein Anstieg des Gesamtcholesterinspiegels um 2,3 mg/dl, des LDL um 1,9 mg/dl und des HDL um 0,4 mg/dl zu erwarten. Daraus ergibt sich ein theoretischer Anstieg des KHK-Risikos um 2 % (22, 24). Für die Praxis ist diese Rechnung aber eher irrelevant, was ein einfaches Rechenbeispiel verdeutlicht: Ein Patient mit einem „normalen“ Cholesterinspiegel von 200 mg/dl und einem HDL von 40 mg/dl mmol/L hat einen CHOL/HDL-Quotienten von 5,0. Wenn dieser Patient nun 200 mg Cholesterin (das Äquivalent von einem Ei) pro Tag zusätzlich isst, würde theoretisch sein CHOL auf 204,6 mg/dl und sein HDL auf 40,8 mg/dl ansteigen, woraus sich ein CHOL/HDL-Quotient 5,01 ergäbe – also ein Anstieg 0,01 Einheiten und entsprechend des Herzinfarktrisikos um 1 %. Wenn hingegen ein Patient mit Hypercholesterinämie (CHOL: 240 mg/dl; HDL: 40 mg/dl) und einem CHOL/HDL-Quotienten von 6,0 ein Ei pro Tag zulegt, steigt theoretisch sein CHOL auf 244,6 und sein HDL auf 40,8, woraus sich ein CHOL/HDL-Quotient von 5,99 ergäbe. Damit würde theoretisch sein KHK-Risiko gar nicht erhöht (26)! Aber gerade den Patienten mit Hypercholesterinämie wird der Verzicht auf cholesterinreiche Kost nahe gelegt. Die Arbeitsgruppe, die auch die Metaanalyse zum Nahrungscholesterineffekt durchführte, hat in einer weiteren Metaanalyse zum Einfluss von Fett und Kohlenhydraten auf die Blutfette errechnet, dass eine Einsparung der täglichen Fettzufuhr um 10 Energie-Prozent und deren isokalorischer Ersatz durch Kohlenhydrate – d.h. die Befolgung der etablierten Ernährungsempfehlungen – den CHOL/HDL-Quotienten um etwa 0,18 Einheiten erhöhen bzw. das KHK Risiko um fast 20 % ansteigen lassen würde (27). Völlig andere Stoffwechseleffekte erzielt man zudem, wenn man zum Beispiel die Steigerung der Cholesterinzufuhr mit einem Mehrkonsum von Eiweiß kombiniert und gleichzeitig die Kohlenhydratzufuhr isoenergetisch einschränkt. Dann führt eine Steigerung des Konsums von cholesterinhaltigen tierischen Nahrungsmittel wie Milch und Milchprodukte, Fleisch oder Eier typischerweise zu einer Senkung des Gesamt- und LDL-Cholesterins und einem Anstieg des HDL-Cholesterins, also zu einer Senkung des CHOL/HDL-Quotienten. Nebenbei werden dann auch noch VLDL-Cholesterin und Triglyceride gesenkt (28-31). Um diese Fragestellung zu untersuchen, hatten Wissenschaftler vom Department of Nutritional Sciences, University of Connecticut und von der Columbia University kürzlich kontrollierte Stoffwechselstudien mit einer Cholesterinbelastung durchgeführt (34, 35). 51 prämenopausale Frauen im Alter zwischen 18 und 49 Jahren und 40 Männer im Altersbereich von 20 bis 50 Jahren, jeweils mit einem Gesamt-Cholesterinspiegel von 140mg/dl bis 200 mg/dl, nahmen teil. Die wurden dann nach dem Zufallsprinzip in eine Cholesterin-Gruppe (CG)und eine Placebo-Gruppe (PG) eingeteilt. Die CG-Gruppe erhielten 30 Tage lang zusätzlich zu ihrer Basiskost, die nach den Kriterien der American Heart Assoziation Stufe 1 Diät (≤ 30 %en Fett, ≤ 10 %en gesättigte Fettsäuren und ≤ 300 mg Cholesterinzufuhr pro Tag) zusammengestellt war, 3 Eier in verflüssigter Form (640 mg Cholesterin). Die Kontrollgruppe bekam ein in Aussehen und Geschmack identisches Ei-Ersatzprodukt ohne Cholesterin. Ergebnisse: Von den 91 Probanden waren 62% Hyporesponder (25 Männer und 31 Frauen) und 38% (15 Männer und 20 Frauen) Hyperresponder. Somit blieben alle Teilnehmer deutlich unter dem Grenzwert von 3,25, wie er von den neuesten Leitlinien des National Cholesterol Education Program in den USA als KHK-Risiko definiert ist. Der Ernährungswissenschaftler und Fernsehjournalist Dr. Nicolai Worm stellt somit die berechtigte Frage, wie lange Ernährungsfachgesellschaften noch die Empfehlungen zur Einschränkung der Cholesterinzufuhr auf < 300 mg/Tag aufrechterhalten wollen.